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Familie Bissinger

Augsburger Straße 34

HIER WOHNTE
HEINRICH LEOPOLD BISSINGER
17.09.1888
„SCHUTZHAFT“ 1938 
DACHAU
DEPORTIERT 1942
PIASKI
ERMORDET

HIER WOHNTE
BETTY BISSINGER
08.09.1901
DEPORTIERT 1942
PIASKI
ERMORDET

HIER WOHNTE
SOFIE BISSINGER 
13.06.1888
DEPORTIERT 1942
PIASKI
ERMORDET 

HIER WOHNTE
BERTA BISSINGER
24.08.1891
DEPORTIERT 1942
PIASKI
ERMORDET

HIER WOHNTE
MAX BISSINGER
07.08.1882
DEPORTIERT 1942
PIASKI
ERMORDET

HIER WOHNTE
DANIEL BISSINGER
14.02.1881
DEPORTIERT 1942
PIASKI
ERMORDET

Heinrich Leopold Bissinger wurde am 17. September 1888 in Ichenhausen geboren und kam nach seiner Entlassung aus dem Militärdienst 1918 nach Neu-Ulm. Hier lernte er die einheimische Berta Bissinger kennen, die er am 23. Mai 1923 heiratete. Einen Tag nach der Hochzeit zog das Paar in das Elternhaus der Braut in der Augsburger Straße 34. 

Bertas Vater, Jacob Bissinger, war 1872 ebenfalls aus Ichenhausen nach Neu-Ulm zugezogen, um hier eine Eisenwarenhandlung zu betreiben. Im November 1877 heiratete er Johanne „Hanchen“ Schwab. Das Ehepaar bekam acht Kinder. Der älteste Sohn Siegfried (geb. 1878) verstarb 1934 in Günzburg. Die Schicksale von Bertas Brüdern Ferdinand (geb. 1879), der nach Augsburg verzogen ist, und Leopold (geb. 1895), der 1926 eine Bertha Schäffler heiratete und den Krieg überlebte, sind noch nicht abschließend erforscht.

Die anderen Kinder, Daniel (geb. 14.02.1881), Sofie (geb. 13.06.1888), Berta (geb. 24.08.1891), Betty (geb. 08.09.1901) und Max Bissinger (geb. 07.08.1882) lebten in wechselnden Konstellationen im Neu-Ulmer Elternhaus.

Dieses hatte Jacob 1894/1895 erworben. Hinter dem großen Wohnhaus mit Verkaufsfläche für den Eisenwarenladen befand sich ein großes Grundstück. Auf diesem standen ein weiteres Haus, das nach zeitweiliger Vermietung als Magazin genutzt wurde, sowie eine Stallung, die später ebenfalls als Lager diente. Aus den Adressbüchern wird ersichtlich, dass die Firma Jacob Bissinger bald explizit mit dem Verkauf von Öfen und Herden warb. 
 

Daniel Bissinger pendelte seit seinem 16. Lebensjahr häufig zwischen dem Elternhaus in Neu-Ulm und der Stadt Augsburg hin und her. Sofie hatte von 1922 bis 1930 wechselnde Wohnorte außerhalb Neu-Ulms, während Berta vor und nach ihrer Hochzeit ebenso wie ihr Bruder Max in der Heimatstadt verblieb. Die höchste Mobilität zeigt sich eindeutig bei Betty Bissinger. Als Krankenschwester wechselte sie zwischen 1920 und 1936 knapp zwanzig Mal ihren Wohnsitz. Kurze Wohnphasen im Elternhaus wechselten sich immer wieder mit halb- bis mehrjährigen Aufenthalten unter anderem in Düsseldorf oder Berlin, aber auch in Bulgarien oder der Schweiz, ab. 

Nach dem Tod von Jacob Bissinger 1920, wurde das Grundstück auf die Witwe Johanna „Hanchen“ Bissinger übertragen, die 1938 verstarb. Die Eisenwarenhandlung mit dem Firmennamen „Jacob Bissinger“ führten die Geschwister weiter. 1925 scheinen die Bissingers bereits ein Auto besessen zu haben, da sie in diesem Jahr einen Bauantrag für eine Kraftfahrzeug-Garage auf dem eigenen Grundstück stellten. Etwa ab 1927/1928 übernahm der eingeheiratete Heinrich Leopold das Geschäft seines verstorbenen Schwiegervaters und führte dieses bis mindestens 1937 weiter.

Sicher ist, dass spätestens die „Verordnung zur Ausschaltung der Juden aus dem deutschen Wirtschaftsleben“, die ab dem 1. Januar 1939 in Kraft trat, die Schließung der Firma Bissinger bedeutet hätte. 

Auf Grundlage des Gesetzes über Mietverhältnisse mit Juden vom 30. April 1939 wurde das Wohnhaus der Familie Bissingers zum „Judenhaus“ deklariert und Alfred Neuburger in das Zimmer von Daniel Bissinger zwangseingewiesen. 

Am 1. April 1942 wurden Heinrich Leopold, Berta, Betty, Sofie, Max und Daniel Bissinger in Begleitung zweier Polizisten nach München überführt und dort im „Judenlager“ Milbertshofen interniert. Hierbei kam es zu unerwarteten Übernachtungskosten für die begleitenden Beamten. Da diese Kosten erklärt werden mussten, entstand bei der Regierung von Schwaben eine detaillierte Akte über den Transport, die im Staatsarchiv Augsburg überliefert worden ist. 

Zwei oder drei Tage nach der Ankunft in München wurde die Familie Bissinger in das Ghetto Piaski deportiert, wo sich ihre Spur verliert. Im Jahr 1960 wurden sie vom bayerischen Landesentschädigungsamt für tot erklärt.
  

Piaski
In das 1940 eingerichtete Ghetto Piaski, etwa 21 Kilometer von der polnischen Stadt Lublin entfernt, wurden Juden unterschiedlicher Nationalität deportiert und von dort in verschiedene Vernichtungslager weitertransportiert. Auch vor Ort kam es zu Massenerschießungen, insbesondere vor der Auflösung des Ghettos 1943.

Quellen:

  • Stadtarchiv Neu-Ulm:
    A01 Stadtverwaltung, Nr. 7844
    A02 Baugesuche I, Nr. 64
    A03 Baugesuche II, Nr. 603
    A09 Meldekarten
    D01 Fotosammlung, III.02.05.01
  • Adressbücher der Stadt Neu-Ulm 1873 – 1939
  • Geiger, Konrad, Neu-Ulm zwischen 1919 und 1945, in: Treu, Barbara (Hrsg.), Stadt Neu-Ulm 1896-1994.

  • Staatsarchiv Augsburg: StA Augsburg, Regierung von Schwaben, Akt Nr. 18674