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Interview mit dem Stadtarchiv Neu-Ulm anlässlich des 30. Jahrestags „Abzug der Amerikaner aus Neu-Ulm“

Im Jahr 1951 kamen die Amerikaner in die Stadt Neu-Ulm, 1991 zogen sie wieder ab. Heute, im Jahr 2021, ist es 30 Jahre her, seit die US-Armee aktiver Teil der Geschichte Neu-Ulms war. Die Zeit der Stationierung hat die Stadt geprägt.

Dr. Larissa Ramscheid, die Leiterin des Neu-Ulmer Stadtarchivs, und ihr Kollege Peter Liptau sprechen im Interview über die prägende Zeit und darüber, wie viel Amerika heute noch in Neu-Ulm zu finden ist.

 

Der Abzug der Amerikaner jährt sich 2021 zum 30. Mal. Wie viel Amerika steckt heute noch in Neu-Ulm?

"Es gibt noch das ein oder andere Gebäude, Straßennamen mit amerikanischen Persönlichkeiten und dann ist da auch noch der Name „Wiley“ auf Schildern, Bussen und in den Zeitungen. Die Gespräche in den letzten Wochen haben aber gezeigt, dass auch noch ganz viel Amerika in den Schränken und Kellern steckt. Und ganz besonders in den Menschen selbst. Diese 40 Jahre Besatzung waren für die Menschen hier sehr prägend."

 

Gehen wir 30 Jahre zurück: War das US-Militär eher Fremdkörper in der Stadt oder Teil der Stadt Neu-Ulm? Gab es hier im Laufe der Jahre einen Wandel im Bewusstsein der Neu-Ulmer?

"Die Wiley Barracks waren ein Sperrbezirk, ein Hochsicherheitsgebiet unter amerikanischer Hoheit. Das lässt sich politisch gut als Fremde im eigenen Land definieren. Fuhr man an den Eingangstoren mit den bewaffneten Soldaten vorbei, so war man meist eigenartig fasziniert vom Geheimnisvollen und „Verbotenen“ hinter den Toren. Die Militärfahrzeuge und Panzer im Straßenverkehr und die Militärparaden haben den Grund ihrer Anwesenheit nie vergessen lassen. Aber die menschliche Seite, die Freundschaften und Partnerschaften, die entstanden sind, zeigen, dass der Austausch und das Interesse aneinander groß waren. Deutsche Zivilisten arbeiteten für die Amerikaner und amerikanische Soldaten lebten in den Häusern und Wohnungen der Deutschen. Es war ein Neu-Ulmer Melting Pot. Einen Wandel im Bewusstsein hat es also auf jeden Fall gegeben. Man ist aufeinander zugegangen."

 

Gab es in der Zeit der Stationierung herausragende Ereignisse (sowohl positiv als auch negativ), die bis heute von Bedeutung oder in Erinnerung geblieben sind?

"Die jährlichen deutsch-amerikanischen Volksfeste in den Wiley Barracks waren immer ein Highlight. Hotdogs, Burger Coca Cola und sich mal in einen Hubschrauber oder Jeep setzen, das zog fast alle Neu-Ulmerinnen und Neu-Ulmer ins Wiley. Überhaupt auf dieses Gelände gehen zu dürfen war schon aufregend. Auf politischer Ebene kam mit der Stationierung der Pershing Raketen die Friedensbewegung auf den Plan. Die geschlossene Menschenkette von Neu-Ulm nach Stuttgart im Jahr 1983 ist ein herausragendes Ereignis von mindestens deutschlandweiter Medienwirksamkeit."

 

Kommen wir zur Recherchearbeit für das Jubiläum: Über Wochen hinweg wurden Überbleibsel aus der US-Zeit in NU gesucht. Wie war die Resonanz?

"Die Resonanz war sehr groß und reichte vom kleinen Foto des Sohnes, der als einziger deutscher Bub bei den Neu-Ulm Hawkes Baseball spielen durfte bis zur kompletten Montur eines US Soldaten, die uns aus Amerika zugeschickt wurde. Einige Dinge sind ganz banal, aber die Geschichte dahinter von tiefer emotionaler Bedeutung für die Menschen."

 

Gab es auch skurrile Gegenstände, die zur Verfügung gestellt wurden?

"Eine Dame aus Offenhausen hat uns den Schlagstock eines Officers der Military Police geschenkt. Ein monströses hölzernes Stück mit ledernem Band, das man ums Handgelenkt legte, damit einem der Stock beim Gebrauch nicht aus der Hand rutscht. Ganz besonders spannend ist eine Flasche Whiskey in Form von Soldatenstiefeln, auf denen ein Helm sitzt. Ein Aufkleber an der Seite mahnt mit den Worten „Don’t let alcohol cut your tour of life short“. Das bringt mich gedanklich zur Anlaufstelle für Drogen- und Suchtkranke, die es auch im Wiley gab."

 

Aus den Kontakten heraus, die Sie im Vorfeld des Jubiläums hatten: Wie ist die Stimmung der Neu-Ulmer, wenn sie sich heute an die Zeit mit den Amerikanern zurückerinnern? Wie wird diese Zeit rückblickend bewertet?

"Wie eng beide Nationalitäten miteinander verbunden waren und es bis heute sind, haben wir in den letzten Wochen erfahren und erspüren dürfen. Mit Freude, aber auch Wehmut erzählten uns die Menschen von ihren Erinnerungen und von den Geschichten der Dinge, die sie aufgehoben haben. Es sind hauptsächlich positive Erinnerungen an die gemeinsame Zeit. Meine Kollegin erinnert sich aber auch an die Worte ihres Vaters, der sie ermahnte, abends auf gar keinen Fall durch den Glacis-Park zu gehen. Es gab also auch Reibungspunkte."

 

Welche Gebäude/Bauwerke in der Stadt sind Überbleibsel der US-Armee?

"Auf dem Wiley-Gelände selbst stehen noch der Wasserturm, der Wiley Club (EM Club), das Pförtnerhaus, die Kirche und der Wiley Kiosk. Im Komplex des Dietrich Kinos ist der ursprüngliche Bau der Amerikaner ebenfalls noch enthalten. Man erkennt es wenn man von der Marlene Dietrich Straße auf das Gebäude zuläuft. Aber auch die Gebäude der Vorfeld Housing Area sind noch erhalten. Die alte Fachhochschule war mal die High School für die Kinder der Amerikaner. Die Polizeigebäude markieren bis heute noch die Hauptgebäude der Nelson-Kaserne an der Reuttier Straße. Die Geschichte des heute noch stehenden Supply Centers im Starkfeld in Offenhausen ist bis in die heutige Zeit spannend: vom Nazibau, zum Flüchtlingslager, zum Supply Center bis zum Ankerzentrum für Geflüchtete heute."

 

Was hat Sie selbst bei Ihren Recherchearbeiten am meisten beeindruckt/positiv beschäftigt?

"Mit wieviel Herzblut die Neu-Ulmerinnen und Neu-Ulmer von ihren Erfahrungen und Begegnungen mit den Amerikanern sprechen. Die Gespräche machten deutlich, wie eng und innig die Freundschaften waren, die zu dieser Zeit geschlossen wurden und teils bis heute bestehen. Die Tatsache, dass sich jemand von den kleinsten Erinnerungsstücken nicht trennen kann, zeigt, wie tief die Begegnung mit den Amerikanern noch wirkt."